Geschichten aus Nachbars Garten - 1. Mutter Natur wird’s richten

In meinem Beruf hat man es mit Menschen zu tun. Mit vielen Menschen. Manchmal zu vielen. Und so war es nicht verwunderlich, dass ich mich bei der Wahl meines Eigenheims für ein recht einsam gelegenes Haus in einem winzigen Dorf in der Eifel entschied.

Direkte Nachbarn gab es damals noch nicht. Hinterm Haus der Waldrand, davor noch eine Pferdekoppel. Die beiden Haflinger dort sind exzellente Nachbarn. Sie erfreuen mein Auge, beschenken mich mit gutem Dünger in handlichen Portionen und belästigen mich nicht mit Klatsch und Tratsch.

Auch auf den anderen Seite nur Grün, mal mehr, mal weniger wild, aber menschenleer.
So war`s mir recht, so wollte ich es haben. Unbeobachtet, ungestört und ohne störende Kommentare zu meinen teilweise doch recht unorthodoxen Gartenaktivitäten.

Dieser Standpunkt war, zugegeben, etwas einseitig. Es fehlte natürlich auch ein Beobachtungsobjekt für mich und Kommentare meinerseits. Was mir da entgangen war, bemerkte ich erst, als das Nachbargrundstück viele Jahre später an ein Lehrerehepaar aus dem nächstgelegenen Ballungsraum verkauft wurde.

Die beiden hatten sich auf Anhieb in das verwunschene Waldgrundstück verliebt. Sie bewunderten die dort wachsenden Knabenkräuter und die Ragwurz, auch eine schöne Orchidee. Atmeten die gute Waldesluft und fuhren zurück in die Stadt. Allerdings nicht, ohne vorher einen Bauunternehmer beauftragt zu haben, sämtliche Bäume zu fällen und das Grundstück zu planieren. Immerhin hatten sie die Orchideen ja vorher noch fotografiert.

Da einige der alten Bäume nicht so recht meinem oder dem Nachbargrundstück zuzurechnen waren, setzte ich durch, dass sie stehen bleiben durften, doch das ist wieder eine andere Geschichte.

Die neuen Nachbarn ließen ihr Haus bauen. Ein anschauliches Beispiel für den Sozialkundeunterricht der Kinder, denn die Bauarbeiter kamen aus einem unserer östlichen Nachbarländer, schliefen in ihren kleinen alten Autos und waren dankbar für heiße Getränke und belegte Brote. Und sie waren, das war ganz offensichtlich, nicht alle wirklich vom Fach. Das wurde klar, als irgendwann der Architekt erschien, lautstark einen Fehler reklamierte und schließlich mit Zollstock und Kreide, die vergessenen Fensteröffnungen auf den Mauern des halbfertigen Hauses anzeichnete. Da wurden dann mit schweren Hämmern die Fensteröffnungen geschaffen. Wiederum äußerst lehrreich für die Kinder. Diesmal zu dem Thema „warum eine ordentliche Ausbildung so wichtig ist“. Oder auch „an den Geschichten aus Schilda kann man doch was lernen…“

Es kam das Richtfest, es kam der Einzug. Die neuen Nachbarn erwiesen sich als sympathische und kommunikative Menschen, sie waren eigentlich recht nett (für Städter). Ihr Leben änderte sich von Grund auf. Sie lebten nun auf dem Land, arbeiteten aber noch immer in der Stadt und hatten dort den überwiegenden Teil ihrer sozialen Kontakte.
Das zeigte sich, als mein Nachbar begann, das mittlerweile kahle, planierte Hanggrundstück in einen Garten zu verwandeln.
Er hatte darüber nämlich mit einem bekannten Landschaftsarchitekten mal gesprochen, dessen Kinder er unterrichtete. So wurde von einigen Dorfbewohnern, deren Kinder im Gegenzug Nachhilfeunterricht erhielten, aus dem Bauschutt und diversem Mutterboden eine Art Ringwall aufgeschüttet. In die Mitte kamen einige Schubkarren Tonerde. Die Nachbarn und die Nachhilfeschüler zogen Schuhe und Strümpfe aus und stampften unter dem Absingen schönen alten Liedguts diesen Ton fest.

Den Rest, so erklärte mir, der staunenden Zuschauerin, mein Nachbar, werde Mutter Natur erledigen. Es werde regnen, der Regen werde den Teich füllen und schon in kurzer Zeit würden Wasservögel an ihrem Federkleid Eier von schönen, zierenden Fischen transportieren und im neuen Biotop absetzen. Ich erinnere mich nicht mehr genau, ob ich ob dieser Erklärung sprachlos war, oder ob ich aus Höflichkeit schwieg, doch ich schwieg.

Viele Jahre später, als mein Nachbar mich anlässlich eines runden Geburtstags fragte, womit er mir denn mal eine Freude machen könnte, bat ich ihn, den immer noch trockenen Krater entweder zu bepflanzen, oder von Profis in einen Teich umwandeln zu lassen. Da leider gerade kein Kind eines Teichbauers Nachhilfe benötigte, erbarmte sich ein Freund, und es wurde ein Teich.

Mein Nachbar war nicht nur ein guter und begeisterter Lehrer, er war auch ein hervorragender Musikant. Er spielte die Orgel, häufig auch in der Kirche. Sicher trug der häufige Aufenthalt in Sakralbauten dazu bei, seinen Glauben an höhere Mächte zu stärken. Er war zum Beispiel davon überzeugt, dass es völlig ausreicht, Saatgut auf den Boden zu streuen, den Rest sollte dann wiederum Mutter Natur völlig selbständig erledigen. Zu diesem Thema kannte er, als empirischen Beleg sozusagen, auch ein bekanntes altes Volkslied.

Nun wohnen wir eigentlich auf einem Riff. Der Boden unter unseren Füßen und ergo auch unter unseren Pflanzen besteht aus versteinerten vorzeitlichen Meerestieren, also Kalk. Dazwischen und darüber gibt es eine dünne nahrhafte Schicht aus Tonboden, der bei Trockenheit zu einer rissigen, betonartigen Masse mutiert, und sich bei längerem Regen in Matsch verwandelt. Besonders perfide ist das im Spätwinter oder Vorfrühling, wenn die Feuchtigkeit nicht ablaufen kann, dann ersticken und verfaulen die Wurzeln.

Nach meinen Erfahrungen funktioniert „einfach ausstreuen“ nicht mal mit Gründünger. Selbst wenn der Boden ausnahmsweise mal genau die richtige Feuchte hat, holen sich die Vögel die Samen, schließlich werden sie ja im Winter auch von uns gefüttert. Aber mein Nachbar hatte den Tipp von einem berühmten Landschaftsgärtner, was galt gegen das exklusive Expertenwissen hier die simple Erfahrung?

Grün wurde Nachbars Garten dann aber doch schon bald, gesprenkelt mit den leuchtende gelben Blüten des Löwenzahn sah das (aus einiger Entfernung) durchaus nett aus, jedenfalls bis die Brombeeren und Brennnesseln sich durchsetzten. Das hatte nicht den Charme einer Orchideenwiese, aber immerhin. Und mein Nachbar machte sich einen Namen als Tierfreund, die Vögel kamen nicht nur vom nahen Waldrand, um seine Sämereien zu naschen. Nein es kamen auch eher seltene Exemplare aus der Waldesmitte. Sehr lehrreich für die Kinder. Ich kaufte ein Vogelbestimmungsbuch und bepflanzte die gemeinsame Grundstücksgrenze mit schottischen Zaunrosen. Der Vögel wegen, versteht sich.

In den ersten Jahren schenkte ich großzügig Ableger und Jungpflanzen aus meinem Gewächshaus. Doch mein Nachbar glaubte an die natürliche Auslese, was es nicht ohne Unterstützung schaffte, sich zwischen den Nesseln und nur von Regengüssen zu voller Größe und Schönheit zu entwickeln, der verdiente nach seiner Meinung auch keinen Platz in seinem Garten.

Nach und nach verlor er aber das Interesse an seinem Garten, der war ja auch zu undankbar.
Er pachtete die Nachbarwiese um einen ruhigen, meditativen Platz zu gewinnen und überließ den Garten seiner Frau. Nicht ohne allerdings von seinem Liegestuhl aus gelegentlich lautstarke und hilfreiche Hinweise zu geben.

Die Nachbarin lies das große Hanggrundstück zunächst einmal terrassieren, wofür unzählige Pflanzsteine angeschleppt, mit Erde gefüllt und bepflanzt wurden. Sie pflanzte Erdbeeren, Johannisbeeren, Stachelbeeren und eine Vielzahl von bunten Blütenstauden, so dass bald ein schöner, farbenfroher Bauerngarten entstand. Unterbrochen von Rasenflächen mit Obstbäumen.

Und für ihren Mann, den begeisterten Weinkenner, pflanzte seine liebende Gattin eine Weinlaube mit roten und grünen Trauben, ein mutiges Unterfangen in der kalten, rauen Nordeifel, doch sind die Reben tatsächlich gediehen. Ein Beweis dafür, was wahre Liebe alles schaffen kann.

Nachbars Garten war nun eine Augenweide, aber natürlich sehr arbeitsintensiv. Sie war fast täglich damit beschäftig und obwohl sie mittlerweile die sechzig weit überschritten hatte, wirkte sie wie das blühende Leben. Die Beschäftigung mit dem Garten tat ihr offensichtlich gut.

Vor einigen Jahren ist mein Nachbar gestorben, seine Frau hat das Haus verkauft und ist weg gezogen.
Die Kinder sind mittlerweile aus dem Haus, was eigentlich schade ist, denn es wurde mit der nächsten Nachbarn-Generation wieder einmal sehr lehrreich, aber das ist eine andere Geschichte.

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